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Impuls zum 4. Juli 2021

Zum 14. Sonntag im Jahreskreis B

Der Mann aus Nazareth


Lesung: Ez 2,2-5, 

Lesung: 2 Kor 12,7-10

Evangelium nach Markus 6,1-6a:

Von dort brach Jesus auf und kam in seine Heimatstadt; seine Jünger folgten ihm nach. Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist! Und was sind das für Machtaten, die durch ihn geschehen! Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm. Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie. Und er konnte dort keine Machttaten tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben. Jesus zog durch die benachbarten Dörfer und lehrte dort.

Gedanken

Viele kennen noch das große Glaubensbekenntnis, wie es früher (manchmal sogar heute noch) bei der Eucharistiefeier gebetet wurde. Darin heißt es: „Ich glaube an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen.“ Das alte Glaubensbekenntnis umgibt Jesus ganz mit göttlichem Glanz. Er ist vor allem der Gottessohn, auf jeden Fall weit weg. Die Sprache von damals entfremdet uns von dem Jesus aus Nazareth. Er ist der Weltenherrscher, der Weltenrichter, wie man ihn früher in die Apsiden und Kuppeln der Kirchen hineingemalt hat, umgeben von Gold als Zeichen der Macht und der göttlichen Sphäre. Deswegen brauchte man auch Maria und die Heiligen als Fürsprecher, da sie näher an ihm dran waren als die Christen an der Basis. Die 2000 Jahre religiöser Frömmigkeit und dogmatischer Lehre haben Jesus weit weggerückt. 

Da stoßen wir im heutigen Evangelium auf die genau gegenteilige Erfahrung: „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder des Jakobus, Joses, Judas und Simon? Und leben nicht seine Schwestern hier unter uns?“ Heute gehen Exegese und Dogmatik davon aus, dass es sich dabei um seine unmittelbaren Geschwister handelt, nicht um seine Vettern und Cousinen, seine weitere Verwandtschaft, wie man es uns früher erzählt hat (1). Die Nazarener kannten ihre Namen. Interessant, dass hier nur die Namen der Jungen genannt werden. Sie hatten in der damaligen Gesellschaft das Sagen. Der hier genannte Jakobus hat später nach der Auferstehung in der Jerusalemer Gemeinde eine große Rolle gespielt. Die Nazarener: Unsere Kinder haben doch mit diesem Jesus auf der Gasse gespielt! Was nimmt der sich bloß heraus? Er blamiert ja unser Dorf! Wir haben schon gehört (Mk 3,20-21 – 10. Sonntag im Jahreskreis B), dass seine Mutter und seine Brüder, genau davor Angst hatten und ihn zurück in den Schoß der Familie holen wollten, als er mit seiner Predigt in Galiläa begann.  Jetzt ist der Skandal da! 

Der nahe, ferne Jesus

Wer ist Jesus für uns, wer ist er für mich? Sicher, viele Christinnen und Christen haben das Bild des in den Himmel entfernten Gottessohnes hinter sich gelassen. Er ist ja auch schwer in unser Leben zu übersetzen. Vielen ist Jesus als der Mann aus Nazareth in den letzten Jahrzehnten nähergekommen. Die Lücke im Glaubensbekenntnis ist uns bewusstgeworden: Da steht nur was von seiner Geburt und von Tod und Auferstehung drin, nichts von seinem Leben, seiner Botschaft, seinem Handeln, seinen Konflikten.  Aber das Ärgernis der Nazarener ist noch näher an Jesus dran: Er ist ja Nachbarskind, mit uns groß geworden. Er hat vielleicht auch am Bau unseres kleinen Hauses mitgewirkt. Woher soll er das alles haben, was er jetzt sagt und tut?

„Nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie.“ Diese zum Sprichwort gewordene Antwort Jesu zeigt, worum es geht: Wenn einer aus der Ferne kommt als großer Prediger, dann hören wir ihm eher zu, als wenn es unser Bruder, unser Nachbar ist. Dem trauen wir einfach so große Worte und Taten nicht zu. Er ist ja einer von uns. 

Wie Jesus als der Christus uns manchmal zu ferne ist, so ist er als Mensch für die Nazarener zu nahe. Aber um Jesus wirklich nahe zu kommen, müssen wir auch wir das Ärgernis der Nazarener unter unserer Haut spüren. Da geht es um den Ernst der Menschwerdung. Weihnachten hüllt diese Menschwerdung noch in ein mystisches Gewand. Da singen die Engel und verkünden die frohe Botschaft. Doch hier in Nazareth ist alles alltäglich mit diesem Jesus, wohl fast 30 Jahre lang. Da fällt der Glaube schwer. Wir wundern uns über Jesus, dass er sich über den Unglauben in Nazareth wundert. Er kann dort keine Wunder tun, denn Wunder setzen das Vertrauen, den Glauben der zu Heilenden voraus, sonst wären sie bloße Schau oder Beweismittel seiner Göttlichkeit. Beides lehnt Jesus ab.

Der Glaube

Der Glaube muss beides zusammenhalten: den Mann aus Nazareth, den Gekreuzigten und Auferstandenen, den Christus des Glaubens. Der Glaube muss gerade diese Spannung aushalten. Es ist deswegen wichtig, das Ärgernis der Nazarener ganz nahe an sich herankommen zu lassen, uns nicht davor zu drücken. Jesus ist ganz Mensch wie wir, geboren von einer Frau, der jungen Frau von nebenan, aufgewachsen in einer menschlichen Familie, ohne von sich Aufhebens zu machen und ohne etwas Besonderes darzustellen. Er war eben nicht immer schon der fromme Wunderknabe, von dem alle etwas Außergewöhnliches erwarteten.
Aber wir dürfen in diesem Mann aus Nazareth die Nähe Gottes ahnen. In der Weise, wie Jesus sich den Menschen zuwandte, wie er sie wahrnahm mit all ihrer Not, mit all ihren Fragen und Belastungen, wie er sich mit ihnen einließ, darin dürfen wir erkennen, wie Gott sich uns zuwendet, dir und mir. Das ist die Botschaft vom Reich Gottes, das ganz nahe herangekommen ist, das schon in unserer Mitte geschieht. Ohne den Menschen Jesus wäre es keine menschliche Erlösung, ohne die Nähe Gottes in ihm wäre es keine wirkliche Erlösung.

Chalkedon

Diese innere Spannung haben die Christen im 5. Jahrhundert auf dem Konzil von Chalkedon so ausgedrückt:  Jesus ist wesensgleicher Natur mit Gott, aber zugleich wesensgleich mit uns Menschen; die göttliche und die menschliche Natur in Jesus Christus sind ungetrennt und unvermischt in einer Person. - Es ist ein Versuch, sich dem Unsagbaren zu nähern. Es ist keine angemessene Formel, die die Wirklichkeit Jesu beschreibt, sondern eine Formel, die die Spannung festhalten will, um die es in Jesus Christus geht.  Diese Formel ist natürlich geprägt von dem damaligen philosophischen Nachdenken über den Menschen und über Gott. Das ist uns fremd und braucht uns nicht zu irritieren. Aber die Formel von Chalkedon war ein Versuch, an der wirklichen Erlösung durch den Menschen Jesus festzuhalten.

Meine Antwort

Wie ist meine Antwort? Wie ist mein Glaube? Ich denke, es geht auch für uns darum, die Spannung zwischen dem Mann aus Nazareth und dem Christus des Glaubens auszuhalten, ohne Verkürzung zu der einen oder anderen Seite hin. Verstehen, durchschauen, auf eine Formel bringen werden wir das in unserer Lebenszeit nie. Auch die Kirche wird das nicht können. Es ist Vertrauen in eschatologischer Spannung, dass diese Hoffnung sich einmal bewahrheitet, von Gott bewahrheitet wird (vgl.1 Kor 13, 9-13). In der Frömmigkeitsgeschichte der Kirche oder auch in ihrer Lehre wird einmal die eine, einmal die andere Seite mehr im Vordergrund stehen. Auch in meiner lebensgeschichtlichen Entwicklung hat sich das Jesusbild gewandelt. Aber es ist wichtig, sich dessen immer wieder zu vergewissern. 

Vermittlung des Glaubens 
 
Wenn uns der Mensch Jesus nahe ist und wir von ihm Heil und Erlösung erfahren, dann trauen wir es vielleicht auch einander zu: Auch in den Begegnungen mit anderen Menschen im Laufe unseres Lebens kann Heil geschehen, Heil, das wir empfangen, und Heil, das wir weiterschenken dürfen. Auch wir können einander helfen, den richtigen Weg zu finden. Auch wenn wir einander gut kennen, auch wenn wir um die Schwächen des anderen wissen, wenn es unser Kollege im Betrieb ist oder ein Verwandter: Er oder sie können durch ihr Wort und ihr Verhalten, durch ihr Leben für uns zum Mittler des Heils werden. Ich könnte viele solcher Beispiele aus meinem Leben erzählen.

Paulus kennt seine Schwächen (2. Lesung) und sieht zugleich, dass er anderen Menschen den Zugang zum Heil öffnen kann. Da wird deutlich, dass das nicht seine eigene Leistung ist, sondern dass er durchlässig wird für die Liebe Gottes zu allen Menschen. Gott ist es, der das Heil schenkt durch den Menschen Jesus, aber auch durch Paulus, durch dich und mich, auch durch seine von schweren Fehlern und Verbrechen gebeutelten Kirche, die sich oft lieber in dem Christus als Weltenherrscher mit göttlichem Glanz und göttlicher Macht spiegelt als in dem von seiner Familie und den Nazarenern verscheuchten Jesus von Nazareth. Das lehrt uns aufmerksam aufeinander zu hören, damit wir seinen Ruf nicht überhören, der uns tiefer in seine Liebe hineinziehen will.

In diesem Menschen Jesus, dem Mann aus Nazareth, unserem Bruder, ist uns Heil und Erlösung geschenkt. So können wir Menschen auch füreinander Heil und Erlösung bedeuten. Gott nimmt uns so ernst, dass wir nur darüber staunen können.


Gebet 

Jesus, du Mann aus Nazareth,
Mensch wie wir, unser Bruder,
Freund aller Menschen.
Sei uns ganz nah, so nah,
dass wir dich verwechseln können 
mit Jedermann und Jederfrau.
Geh mit uns durch Liebe und Leid,
durch Schuld und Versagen,
durch Freude und Enttäuschung.

Lass uns deine Nähe erfahren.
Lass uns in dir Gottes Nähe erfahren.
Lass uns in unserem menschlichen Miteinander,
auch in unseren gebeutelten Kirchen 
deine und Gottes Nähe erfahren.




(1)  Vgl. Hans Kessler: Auferstehung? Der Weg Jesu, das Kreuz und der Osterglaube, Ostfildern 2021, S. 26, zu dem Herrenbruder Jakobus S. 116f. Das beste theologische Buch, das ich seit langem gelesen habe.